Eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Wir werden alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. […] Und das, was wir erzählen, werden dann traurige Konjunktive sein, wie zum Beispiel „Einmal wäre ich fast einen Marathon gelaufen“ oder „Einmal hätte ich fast die Buddenbrooks gelesen.“ […]
Julia EngelmaNN
So oder so ähnlich startete Julia Engelmann ihren berühmten Peotry Slam. Falls du Julias Beitrag vom Mai 2013 noch nicht kennst, verlinke ich ihn dir hier:
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Ihre Worte erreichten mich damals im Januar 2014. Zu jener Zeit war ich noch mit meinem Ex-Freund, dem Trompeter, zusammen. Es war eine Fernbeziehung, mit ständigen On und Offs. Mit einem abstinenten Leben hatte sie herzlich wenig zu tun und auch beruflich war ich gefangen in der kapitalistischen Tretmühle. Trompeter war es, der mich auf diesen Poetry Slam damals aufmerksam machte; so kurz nach Neujahr, kurz nachdem wir mal wieder unsere Neujahrsvorsätze in unser Sektglas nuschelten.
Julias Worte ließen mich zu jener Zeit zum ersten Mal aufhorchen. Sie rüttelten etwas in mir wach, was davor tief und fest geschlafen hatte. Irgendwie wusste ich seitdem, dass sich mein Leben in eine falsche Richtung entwickelt hatte. Durch Julias Gedanken war es zum ersten Mal möglich mein Leben anders wahr zu nehmen. Ich war mit so vielem so unglücklich: mit der Beziehung, meinem Job, der viel zu kleinen Wohnung usw. In meinem eigenen Leben war ich quasi nur noch ein Fahrgast. Das Steuerrad hatte ich schon lange nicht mehr selbst in der Hand. Als ich Julias Beitrag zum ersten Mal hörte, bin ich nur einfach nicht auf die Idee gekommen, dass das, was mich davon abhielt meine Träume und wahren Werte zu leben, mein viel zu hoher Alkoholkonsum war. Später sollte er sich als die größte Bremse meines bisherigen Lebens herausstellen.
Ungefähr sechs Monate später, genau am 11. Juli 2014, verlor ich, nicht nur im übertragenen Sinne, meinen Führerschein. An diesem Tag hörte ich mit dem Trinken auf. Ich wusste damals noch nicht, dass dies der Startschuss in ein neues, besseres Leben sein würde. Der 11. Juli war das Ende einer Ära und der Anfang von etwas ganz Neuem, damals für mich Unbegreiflichem.
Das Leben, das ich heute führe, hat sehr viel mit meinen wahren Werten zu tun. Es spiegelt im Großen & Ganzen das wider, wie ich eigentlich leben möchte. (Die strukturellen Rahmenbedingungen, die noch nicht stimmen, lasse ich hier mal außen vor.) Meine Nüchternheit befähigt mich dazu, dass das, was ich mal erzählen werde, wenn ich irgendwo mit 80 auf einer Parkbank sitze, nicht bloß traurige Konjunktive sein werden. Durch meine Nüchternheit und mit der Hilfe des richtigen Umfeldes kam ich erst ins Tun, ins Handeln und ins Machen. Damit war es mir möglich ein Leben zu realisieren, das ich so authentisch und aufrichtig führen und spüren möchte, wie es nun mal ist; mit all seinen Hochs und Tiefs, weil es eins ist, das mir meiner selbst entspricht.
Dies habe ich nicht von heute auf morgen erlernt oder erreicht. Es ist viel mehr wie eine Art Reise oder ein Wanderweg, den ich nun schon seit dem 11. Juli 2014 beschreite. Heute ist wieder einer dieser Jahrestage. Ich bin neun Jahre nüchtern. Ich bin so glücklich und dankbar, dass ich mich vor neun Jahren für diesen abstinenten Lebensweg entschieden habe.
Genau deswegen schaue mir das Video von Julia Engelmann so gerne an; und zwar meistens dann, wenn schwierige Entscheidungen anstehen. „[…] Denn eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Wir werden alt sein und an all die Geschichten denken, die für immer Unsere sind.“ Denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir zu einem Großteil selber wählen. Happy Soberversary to me!
