Für ein positives Leben ohne Alkohol.

Co-Abhängigkeit, Nüchternheit, Sensibilität

Ich bin nicht krank.

Papierblock mit Wachsmalstiften

Hintergrundbild: Kelly Sikkema // unsplash

Ich bin nicht lebenslang krank – ich werde gesund.

Dies ist ein Gastbeitrag von Halka Duhaut.

Meine Geschichte ist einzigartig und doch gleicht sie vielen, weil wir alle einzigartig sind und doch ähneln wir uns. Erkennen wir uns in den anderen Lebensläufen entsteht eine Verbindung, ein Erkennen und wir sind nicht mehr allein. Es kann nicht genug von den Geschichten geben, die um das abstinente Leben handeln. Deshalb möchte ich gern meine Gedanken und Erfahrungen auf diesem wunderbaren Blog teilen.

Eine kurze Vorstellung: Ich heiße Halka, bin ü50, ursprünglich aus Berlin und Umland und wohne seit über 20 Jahren in der Normandie (FR). Ich bin Mutter, Ehefrau, Tochter, Schwester, Freundin, Ingenieurin, Angestellte, Ausländerin und ich bin auch und vor allem eine unabhängige, freie, abstinent lebende Frau. Meine Reise begann vor über 3 Jahren. Ich nenne es Reise, weil für mich die Entscheidung, ein Leben ohne Alkohol zu führen, der Anfang eines neuen Lebens bedeutete und dieser Prozess nicht irgendwann abgeschlossen sein wird. 

Zu diesem Gastbeitrag wurde ich inspiriert durch die Initiative von NACOA Deutschland und ihrem Hashtag #schlussmitdemstigma.

Als Allererstes möchte ich sagen, dass ich diese Initiative sehr richtig und wichtig finde und den Hashtag auch sehr gern geteilt habe. Die Arbeit von NACOA Deutschland möchte ans Licht bringen, was in der Gesellschaft sehr gern unter den Teppich gekehrt oder im Schatten gelassen wird: Die Auswirkungen von suchtbelasteten Elternhäusern auf die Kinder. Sie sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft und haben wenig Stimme. So entstehen Lebensläufe, die toxische Kreisläufe nach sich ziehen. Ich finde es ist schade, dass die Gesellschaft, in Deutschland wie auch in Frankreich, den Kindern das Trinken so vorlebt, wie es im Moment getan wird. Anstatt ein gesundes, erfülltes Leben vorzuleben, vor dem es keine Flucht in den Rausch braucht, leben Kinder in Systemen, wo Alkohol oder andere Drogen die Beziehungen und das Leben vergiften. Das Risiko, dass sie den Lebensstil für sich übernehmen, ist riesengroß, weil Alternativen fehlen.   

Das Stigma

Ich musste darüber nachdenken, was für mich Stigma in Bezug Alkoholabhängigkeit bedeutet und wozu es das Stigma eigentlich braucht. In meinen Worten ist das Stigma, welches alkoholbelastete Familien ausgrenzt, Folgendes: alkoholabhängige Personen bzw. Alkoholiker werden beschuldigt, Alkohol nicht kontrolliert konsumieren zu können. Sie besitzen nicht genügend Disziplin, sind voller Charakterschwäche und asozialem Verhalten oder sind genetisch belastet. Sie kommen eventuell schon aus einem Umfeld, welches so geprägt ist und werden auf Grund des wiederholten Drogenmissbrauchs ausgegrenzt. So gehört die alkoholabhängige Person nicht mehr zur Gesellschaft und ist unbelehrbar, unheilbar, unnormal.

Ich muss ehrlich zugeben, ich bin von diesem Bild geprägt und auch noch nicht frei davon. Das Bild „die Anderen“, oder auch Othering genannt, hilft, sich von einer stigmatisierten Gruppe zu distanzieren. Die Schuld für ihr Schicksal wird den Betroffenen gegeben. Nicht dem Alkohol und anderen Drogen, auch nicht der Gesellschaft und schon gar nicht der Alkoholindustrie mit ihren Marketingtricks. Was in der Diskussion vorgeschlagen wird, ist die Einordnung der Alkoholabhängigkeit als chronische, lebenslange Krankheit. Die Schuld liegt nicht mehr bei der Person und ihrem Umfeld. Es ist eine chronische Krankheit. Aus der Sicht der suchtbelastendeten Angehörigen verständlich. Es hilft den Betroffenen, Alkoholismus als chronische Krankheit zu betrachten, weil ohne das, der Abhängige als asozial, schwach und selbst schuld da steht. Wenn man krank wird, kann man nicht schuldig sein. Er ist Opfer, kann so nun Hilfe beanspruchen, medizinisch und finanziell. Diese Einordnung macht es einfacher dieses komplexe Thema gesellschaftlich zu behandeln. Es können Mittel gefunden werden und Kliniken finanziert, Therapien bewilligt. Dieses Wording hilft Kindern ihren Eltern zu vergeben und mit traumatischen Erfahrungen weiterzuleben.

Was ich für mich schwierig finde, ist, Alkoholabhängigkeit als chronische Krankheit zu benennen. Diese lebenslange Diagnose hätte mich abgehalten, es mit der Abstinenz überhaupt zu versuchen. Ich fragte mich, wo ich, als Ex-„Normalabhängige“ in diesem Bild zu finden bin. Es gibt Begriffe wie Grauzonentrinker*in oder psychische Alkoholabhängigkeit. Damit hatte ich Begriffe für das, was mir passiert ist. Aber ist es nicht auch eine Abgrenzung von den anderen Abhängigen? Die stigmatisierende Sprache ordnet ein in „gesunde Trinker“ und „chronisch-kranke Trinker“. Aber (fast) alle trinken. Um als „Normaltrinkende*r“ weiter trinken zu können, braucht es die Einordnung, die Abgrenzung, die verdrängende Sprache.

Unsere eigene Sprache dafür entwickeln

Als ich anfing ohne Alkohol zu leben, war ich soweit mein Leben zu ändern. Nicht weil ich musste oder weil mein Alkoholkonsum auffiel. Ich hatte endlich den Alkohol als Gift identifiziert. Ihn nicht als Freund in allen Lebenslagen, sondern ihn als Feind zu betrachten, hat mein Leben grundlegend verändert. Ich fand Menschen, die anders über Alkoholabhängigkeit redeten. Die Sprache konnte ich für mich annehmen. Ich erfuhr, dass ich auch aufhören kann, ohne mich als Alkoholikerin zu betrachten. Hätte ich mich als chronisch Kranke definieren müssen, wäre ich nie losgegangen, weil es impliziert, dass nur Chronisch-Kranke mit dem Alkohol aufhören müssen (dürfen) und dann für immer damit kämpfen werden. Heilung wäre nicht möglich. Ich habe getrunken, wie alle anderen auch und es hat mich krank gemacht bzw. verhindert gesund zu werden. Mir ging es jahrelang psychisch schlecht, ich war arbeitsunfähig.  Mir wurde eine chronische Angststörung und Depression diagnostiziert ohne mit mir jemals über meinem Alkoholkonsum zu sprechen. Ich kam lange nicht darauf, dass Alkohol meine Gesundheit negativ beeinflussen könnte, sehr lange nicht. Wenn ich so weitergemacht hätte, wäre es sicher schlimmer geworden. Aber ich hatte Glück. Ich bin in Deutschland auf eine wachsende Abstinenzbewegung gestoßen. Und ich konnte mich nun als psychisch abhängig erkennen und erfahren, dass man davon heilen kann, wenn man den abstinenten Weg geht.  Mir hat geholfen, mich nicht als Opfer zu sehen, sondern als freien, unabhängigen Menschen, der aktiv etwas verändern kann, indem er „nur“ die giftige Substanz weglässt.

Nach 3 Jahren ohne Alkohol kann ich berichten, dass ich immer weniger depressive Phasen habe und stark genug bin, mich meinen Ängsten zu stellen. Sie können mich nicht mehr aufhalten, ich versuche mein Leben nicht mehr durch sie einzuschränken. Ich bin wieder arbeitsfähig und nun auch fest angestellt, körperlich und psychisch gesund. Die Abstinenz hat mich stärker und gesünder werden lassen und ich fühle mich nicht mehr krank oder gar als Opfer. Ich spüre keinerlei chronische Krankheit in mir. Ich habe für mich festgestellt, dass Alkoholabhängigkeit mit jedem Alkoholkonsum entstehen kann. Niemand ist davon verschont.  Deshalb finde ich die Abgrenzung in gesunde*n Trinker*in und kranke*n Trinker*innen sehr schwierig. Wo ist die Grenze?

Denn ich denke, vor einem Nervengift, das unzählige Krankheiten auslöst und hochgradig abhängig macht, sind wir alle gleich.

Liebste Halka, danke, dass ich deinen großartigen Beitrag hier teilen durfte. ❤️